tl;dr
Szenariomatrizen sind mehr als Planungsinstrumente – sie können zu strategischen Möglichkeitsräumen werden. Richtig eingesetzt, helfen sie nicht nur bei der Analyse von Entwicklungen, sondern öffnen neue Perspektiven auf Identität, Handlungsspielräume und Zukunft. Entscheidend sind die gewählten Achsen: Sie spiegeln Weltbilder, Werte und blinde Flecken. Szenarien ermöglichen Resonanz mit dem Unbekannten – und schaffen Raum für Selbstreflexion, Differenzierung und strategische Neuausrichtung.
Warum klassische Szenariomatrizen oft nicht ausreichen
Viele Szenariomatrizen, wie sie heute in Organisationen verwendet werden, wirken auf den ersten Blick logisch, strukturiert und professionell. Sie vermitteln einen Hauch von Ordnung in einer komplexen Welt und suggerieren, dass wir mit der richtigen Methode Kontrolle über das Kommende gewinnen können. Doch bei genauerem Hinsehen entfalten sie oft wenig Wirkung. Sie erzeugen ein Gefühl von Sicherheit, ohne tatsächlich in die Tiefe strategischer Auseinandersetzung vorzudringen. Zwei Achsen, vier Felder – und dann? Der Erkenntnisgewinn bleibt oft oberflächlich, die Handlungsimpulse diffus.
Doch was wäre, wenn Szenarien nicht nur strukturieren, sondern bewegen könnten? Wenn sie nicht nur strategisch klären, sondern auch emotional berühren würden? Was Organisationen heute brauchen, sind keine standardisierten Raster, sondern Räume für Denken, Entwicklung und Orientierung. Möglichkeitsräume, in denen alternative Zukunftsbilder nicht nur gedacht, sondern gespürt, erlebt und kritisch hinterfragt werden können. Räume, in denen Unsicherheit nicht als Störfaktor, sondern als Ressource für Erkenntnis und Gestaltung verstanden wird.
Bei tantin verstehen wir Szenarien nicht als methodisches Spiel, sondern als Instrumente strategischer Selbstreflexion und tiefgreifender Transformation. Unser Ansatz ist inspiriert von der Kraft starker Narrative: Geschichten, die nicht beruhigen, sondern herausfordern. Geschichten, die Organisationen nicht nur Orientierung geben, sondern sie mit ihrer eigenen Entwicklungsfähigkeit konfrontieren. Eine gute Szenariomatrix tut genau das – sie stellt keine Antworten bereit, sondern eröffnet neue Fragen. Und manchmal – sie stellt auch Menschen infrage.
Szenarien als strategische Narrative
Die Funktion von Szenarien im strategischen Denken
Szenarien sind keine Vorhersagen. Sie sind strukturierte Erzählungen, die es Organisationen – und vor allem den Menschen darin – ermöglichen, mit Unsicherheit umzugehen. Durch Szenarien geben wir der Zukunft eine Form, um sie als Denk- und Handlungsraum zu nutzen. Sie helfen, potenzielle Entwicklungen zu explorieren, unterschiedliche Pfade zu skizzieren und dabei sowohl Risiken als auch Chancen systematisch zu beleuchten.
Eine Szenariomatrix ist daher nicht bloß ein Analysewerkzeug – sie ist eine Bühne, auf der mögliche Zukünfte sichtbar werden. Mit Konflikten, Spannungen, Dilemmata. Mit Übergängen, Brüchen und ungewohnten Perspektiven. Und mit einer zentralen Frage im Mittelpunkt: Wer wollen wir sein, wenn die Welt sich fundamental verändert – und was sind wir bereit dafür hinter uns zu lassen?
Vielleicht erinnert sich eine Führungskraft an einen Moment der Unsicherheit, in dem kein Plan mehr half. Vielleicht fragt sich ein Team, wie es sich neu aufstellen würde, wenn gewohnte Strukturen wegbrechen. Genau solche inneren Fragen geben Szenarien ihre eigentliche Kraft.
Merkmale wirksamer Szenarien:
- Stellen gewohnte Annahmen infrage
- Eröffnen neue Denkoptionen
- Ermöglichen kollektives Zukunftsdenken
- Fördern strategische Differenzierung
- Unterstützen die emotionale Vorbereitung auf Wandel
Achsenwahl als Spiegel innerer Weltbilder
Warum die Wahl der Szenarioachsen strategisch – und persönlich – entscheidend ist
Die Achsen, entlang derer Szenarien strukturiert werden, sind keine neutralen Parameter. Sie sind Ausdruck dessen, was wir als relevant, als ambivalent oder als bedrohlich wahrnehmen. Sie offenbaren, welche Gegensätze uns beschäftigen – und welche Grundannahmen über Zukunft, Wandel und Steuerbarkeit unser Denken bestimmen.
Typische Spannungsfelder:
- Stabilität vs. Wandel
- Kontrolle vs. Offenheit
- Resonanz vs. Entfremdung
- Effizienz vs. Sinnorientierung
Diese Achsen beschreiben nicht nur die äußere Welt, sondern vor allem unsere innere Haltung ihr gegenüber. Sie spiegeln unsere Werte, unsere Ängste, unsere Visionen – und geben uns damit auch Aufschluss über blinde Flecken und strategische Tabus.
Vielleicht ist es genau diese Angst vor Kontrollverlust, die uns davon abhält, „Offenheit“ als Achse zu setzen. Oder die stille Hoffnung auf Stabilität, die „Wandel“ kleinredet. Deshalb ist die Definition von Achsen mehr als eine methodische Entscheidung: Sie ist ein Klärungsprozess. Ein erster strategischer Akt der Selbstreflexion – und oft ein zutiefst menschlicher.
Die Szenariomatrix als Denkraum und Möglichkeitsstruktur
Von 2x2 zu 3x3 – Zukunft braucht Komplexität und Haltung
Die klassische 2x2-Matrix ist weit verbreitet, aber oft zu begrenzt. Zukunft ist kein binäres Konstrukt. Sie ist komplex, widersprüchlich und offen. Deshalb erweitern wir bei tantin die Matrix – als 3x3-Feld, als multidimensionales Modell oder als flexibel strukturierbaren Möglichkeitsraum, in dem unterschiedliche Zukünfte nebeneinander existieren dürfen, ohne vorschnell priorisiert zu werden.
Die Matrix als Denkraum eröffnet:
- Einen Spiegel für organisationale Selbstbilder
- Raum für identitätsstiftende Fragestellungen
- Eine Struktur für strategische Erzählbarkeit
- Optionen für transformative Entscheidungen
In Workshops fragen wir nicht: Welches Szenario ist am wahrscheinlichsten? Sondern: Welches fühlt sich für Euch am fremdesten an – und warum? Denn genau dort liegt oft der strategische Hebel.
Resonanz und Revolte als transformative Prinzipien
Warum echte Zukunftsarbeit mehr als Analyse braucht
Szenarioarbeit bei tantin basiert auf zwei komplementären Prinzipien: Resonanz und Revolte. Einerseits wollen wir vergangene, gegenwärtige und zukünftige Signale hörbar machen – Echos, die oft überlagert, übersehen oder systematisch verdrängt wurden. Andererseits fordern wir Organisationen heraus, eingefahrene Denkmuster zu hinterfragen – und sich von vermeintlichen Gewissheiten zu lösen.
Ein starkes Szenario destabilisiert. Es bringt vertraute Strategien ins Wanken. Es provoziert Diskussion, erzeugt produktive Reibung und stiftet Orientierung durch Irritation. Es öffnet neue Räume des Denkens – und des Handelns. Und manchmal bringt es einzelne Menschen dazu, sich neu zu fragen, warum sie tun, was sie tun.
Resonanz & Revolte ermöglichen:
- Klärung organisationaler Werte und Spannungen
- Brüche mit eingefahrenen Narrativen
- Den dionysischen Sprung in neue Handlungslogiken
- Mut zur Positionierung in unsicheren Kontexten
Szenarien als Werkzeuge der Wirklichkeitserweiterung
Wir bei tantin verwenden Szenarien nicht zur Risikoabsicherung, sondern als Instrumente, um neue Perspektiven zu entwickeln. Sie sind keine Checklisten, sondern narrative Katalysatoren für strategische Selbstüberwindung.
Sie sind Einladungen, sich mit Unbekanntem zu beschäftigen. Resonanzkörper, die Vergangenes reflektieren, Gegenwart strukturieren und Zukünftiges antizipieren. Sie helfen Organisationen – und den Menschen darin –, über ihre eigenen Denkgrenzen hinauszuwachsen und eine Haltung zu entwickeln, die Unsicherheit nicht nur erträgt, sondern produktiv macht.
Zentrale Funktionen von Szenarien bei tantin:
- Zukunftsbilder emotional erfahrbar machen
- Denkgrenzen aufzeigen und verschieben
- Möglichkeitsräume gestalten statt planen
- Strategieprozesse narrativ verankern
Kritische Reflexion: Tiefe allein reicht nicht
Tiefgreifende Szenarioarbeit kann enorme Wirkung entfalten – wenn die Organisation bereit ist, sich darauf einzulassen. Sie verlangt Mut, Offenheit und eine gewisse Bereitschaft zur Selbstkonfrontation. Sie braucht Führung, die Ambiguität aushalten kann, und Teams, die bereit sind, gewohnte Denkrahmen zu hinterfragen.
Doch am Ende ist es nicht die Organisation, die entscheidet – es sind Menschen. Menschen mit ihren eigenen Ängsten, Hoffnungen, Routinen und inneren Bildern der Zukunft. Szenarien helfen dabei, diese inneren Bilder gemeinsam sichtbar zu machen. Sie geben Sprache, wo bisher Schweigen war. Und Richtung, wo Unsicherheit regierte.
Die wahre Kunst der Szenarioarbeit besteht nicht darin, richtig zu liegen – sondern darin, neue Möglichkeitsräume zu erschließen. Räume, in denen Zukunft als offene Frage gedacht und als kollektiver Prozess gestaltet werden kann.
Wulf, T., Meissner, P. und Stubner, S., 2010. A Scenario-based Approach to Strategic Planning – Tool Description Scenario Matrix. Marburg: Universität Marburg.
Curry, A. und Schultz, W., 2009. Roads Less Travelled: Different Methods, Different Futures. Journal of Futures Studies, 13(4), S. 35–60.
Kahane, A., 2012. Transformative Scenario Planning: Working Together to Change the Future. Stanford Social Innovation Review, 10(4), S. 1–6.
Rohrbeck, R. und Heger, T., 2021. Scenario-based strategizing. Berlin: Rohrbeck Heger GmbH.